Englischer Humor: Der verrückte Kult um Ali G. - versteckter Rassismus oder Realsatire? (2024)

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London im Sommer. Ein Protestmarsch knallgelber Overallträger mit Goldklunkern, Ziegenbärtchen und Rapperbrillen bewegt sich langsam in Richtung Sendezentrale von "Channel 4". Die Fangemeinde trauert - im Ali G. Look und mit Ali G. Parolen auf den Lippen - um den Bildschirmtod ihres Helden.

Sacha Baron-Cohen, Alter Ego der Erfolgsfigur Ali G. hält sich derweil auffällig bedeckt. Kein Interview. Kein Kommentar. Es heißt, der 28-jährige Cambridge-Abgänger habe derzeit genug von seiner eigenwilligen Show und wolle sich neuen Aufgaben zuwenden.

Es scheint fast so, als sei dies das letzte Kapitel einer Geschichte, in der sich eine als "Stimme der Jugend" getarnte Reporter-Karikatur in die Wohnzimmer der Prominenz aus Wirtschaft, Politik und Kultur schummelte, um diese nach allen Regeln der Kunst vorzuführen. Im Gegensatz zu anderen "Interview-Künstlern" oder "Borderlinern" scheiterte Ali G. aber nicht etwa an der Enthüllungskunst der Kollegen, sondern wurde Opfer der eigenen Popularität.

In der Pose des einfältigen Rapper-Reporters am Kamin des britischen Establishments hat sich Ali G. innerhalb kürzester Zeit von drei Fernsehminuten am Ende der "11 O'Clock Show" zum Comedy-Star mit eigener Sendung hochgefrotzelt. Ali G. war "Comedian of the Year 1999" und wurde im April diesen Jahres gleich zweifach für einen der begehrtesten Fernsehpreise der Insel, den Bafta, nominiert. Seine Interviews sind Kult, die Vermarktung der Kaufvideos boomt, und Madonna lädt zu Dreharbeiten nach Hollywood. Und, wie es sich für ein echtes Medienspektakel gehört, lässt die Kritik nicht auf sich warten. Der Vorwurf: Drogenverharmlosung, Rassismus, Niedertracht. Kurzum: Ali G. ist das Medienereignis schlechthin. Und jetzt, auf dem Höhepunkt des Erfolgs, soll auf einmal Schluss sein?

Das Ende der Kultfigur war trotz (oder wegen) des ganzen Hypes letztlich absehbar. Ali G.'s unlängst aufgelöste Anonymität war grundsätzlicher Bestandteil seines Erfolges. Die berühmt-berüchtigten Interviews mit britischer Prominenz wurden samt und sonders vor der Ausstrahlung der ersten Sendung aufgenommen und entstanden unter vorgetäuschten Umständen. Der renommierte Fernsehsender Channel 4 fungierte als Köder, die Promis bissen in Scharen an. Ali G., so hieß es scheinheilig, wäre die zukünftige "Voice of Youth" (die Stimme der Jugend) des Senders. Ziel der Sendung sei es, der heutigen Politikverdrossenheit der Jugend entgegenzuwirken und ihr mit Hilfe von Alis "Experten-Interviews" Politik und Kultur nahe zu bringen. Die "Experten", sichtlich geschmeichelt, luden Ali zu sich aufs Sofa, machten auf cool und blamierten sich furchtbar.

Ob Richter Pickles, Politiker Tony Benn oder Erziehungsexperte Sir Rhodes Boyson, die Interviews folgen dem immer gleichen Schema. Ali stellt dumme Fragen und hakt so lange nach, bis sein Gegenüber ebenso dumme Antworten gibt. Die Interviews leben vom Zusammenprall der Generationen und dem peinlichen Bemühen der Älteren, vor den Augen der vermeintlichen Rapper-Jugend zu bestehen. Denn Baron-Cohen tarnt sich perfekt: Der gelbe Overall, die Rapper-Brille, der falsche karibische Akzent, obercooles Gehabe, Gestus und Gebabbel gehören zu einer perfekten Inszenierung der vermeintlichen Straßenjugend Englands. Zuviel Werbung, zuviel Drogen, zuviel Slang - zuwenig Bildung. In Deutschland wäre Alis Akzent entweder echt oder gespielt türkisch und der Verdacht auf versteckten Rassismus nicht von ungefähr.

Ali G., so schallt es aus dem britischen Blätterwald, sei das perfekte Ventil für die Vorurteile einer vornehmlich weißen Mittelklasse. Harry Thompson, Produzent und Miterfinder der Figur weist jegliche Interpretation in diese Richtung jedoch vehement von sich. Er will Ali G. als Satire auf den erbitterten Kampf um die werberelevante Zielgruppe Jugend verstanden wissen, der Medien und Politik gleichermaßen prägt. Tony Blair lädt Noel Gallagher in die Downing Street zum Tee, ein deutscher Fernsehender zum Container-Voyeurismus. Im Buhlen um die Jugendquote finden Massenmedium und Politik ihren gemeinsamen Nenner.

Die Kopfgeburt des Produzenten hat sich jedoch längst verselbständigt. Ali G. ist inzwischen Teil jener Jugendkultur, die er anfänglich so trefflich parodierte. Der Vorsatz des Erfinders, die geldträchtige Ausschlachtung der Figur zu verhindern, ist durch die Eigendynamik der Popularität längst dahin. Die Macht von Channel 4 reicht vielleicht noch aus, um das Erscheinen einer Single zu verhindern, die Ali G´s Stimme ohne vorherige Erlaubnis zu einem Song mixt, in den unendlichen Sphären des Internets ist die Fangemeinde jedoch unter sich. Hier läuft die einträgliche Vermarktung der Comedy-Ikone auf vollen Touren, gibt es Käppis und Klunker zu kaufen. Die Fiktion Ali G. ist zu einer realen Größe auf dem Merchandising-Markt herangewachsen und bleibt seinen Fans als solche bis auf weiteres erhalten. Der Konsument siegt. Ein herrlich kommerzielles Happy End.

Englischer Humor: Der verrückte Kult um Ali G. - versteckter Rassismus oder Realsatire? (2024)
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Author: Geoffrey Lueilwitz

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